Ihr offizieller Name „1. Herner Rock’n’Roll Club“ sei ihnen verziehen. Aber als Überschrift in einem Wanne-Eickel-Buch? Nee! Dabei kamen fast alle Tänzer der Weltrekord-Formation aus Wanne-Eickel. Also lassen wir die Geschichte da, wo sie ihren Anfang nahm und überwiegend spielte.
Nachdem Susanne Diel 1982 mit ihrem Mann Gerald Zinß die elterliche Tanzschule an der Hauptstraße übernahm, blieb der Rock’n’Roll nicht nur eines der beliebten Kursangebote der Tanzschule, sondern weckte bald auch richtigen Ehrgeiz. Die beiden hatten sowieso ein Fable für diesen bisweilen athletischen Tanz, der eigentlich längst aus der Mode hätte sein müssen.
Die älteren erinnern sich: 1954 trat ein leicht übergewichtiger weißer Schmalzlockenträger auf die Bühne und hämmerte das aufs Publikum nieder, was er zuvor bei schwarzen Musikern gehört hatte: „Rock around the Clock“. Ein Lastwagenfahrer mit töchtergefährdendem Hüftschwung brachte den Sex rein. Und ein schwarzer Dandy quäkte die sinnentleerte Boschaft: „Awop-bop-alooba-a-lop-bam-boom - Tutti Frutti“. Der Untergang des Abendlandes war besiegelt. Meinten jedenfalls die Eltern.
Mehr als 30 Jahre später wirbelten ein Dutzend Teenies und Gerade-eben-Twens zu den verschärften Viervierteltakten der Grufties übers Parkett, warfen sich mit artistischem Schwung über Schultern und Rücken, um dann ziemlich ungebremst am Gegenüber hochzuspringen oder drunter wegzutauchen. Zur Freude des Trainergespanns, das in der Begeisterung der jungen Leute und ihrem tänzerischen Geschick ein erhebliches Potenzial sah.
Was zunächst als Freizeitspaß begonnen hatte, wurde im Laufe der Zeit sportlicher Ernst. Wie bei Nicole Richter etwa, die eigentlich aus Spaß am Rock’n’Roll nur einen Kurs belegen wollte. Aus einem wurde mehrere, aus Lust und Laune wurden Lust und Ehrgeiz, aus Tanzpartnern wurden Sportkameraden - und ein Verein war auch nötig, weil man sonst nicht an Formations-Wettbewerben teilnehmen konnte. Dass sich die Wanne-Eickeler Rock’n’Roller aber hinter dem Namen „Herne“ versteckten, fand in der Heimat nicht jedermann prima, zumal bis auf eine Essenerin wirklich alle aus Wanne-Eickel stammten.
Schließlich mussten auch noch die Diels vom Parkett, weil sie als Berufstänzer galten und nicht als Amateure. Also wurde Susanne zur Trainerin und Gerald zum Organisator. Im deutschen Verband beteiligte er sich an Vorbereitung und Ausrichtung der Meisterschaften - offenbar so gut, dass er von der World Rock’n’Roll Confederation 1987 mit der Organisation der Weltmeisterschaft beauftragt wurde. Und die wollte er nach Herne holen, genauer gesagt nach Wanne-Süd. Die Sporthalle lag praktischerweise gleich nebenan - und 1985 gab’s da ja auch schon mal eine deutsche Meisterschaft, bei der die Diel-Formation den dritten Platz holte.
Schon Wochen vor dem großen Ereignis war die Sporthalle restlos ausverkauft (ja, wirklich, Sporthalle Wanne-Süd - restlos a-u-s-v-e-r-k-a-u-f-t!). Gerald Zinß hätte noch dreimal soviel Karten unters Volk bringen können, zumal die Wanne-Eickeler Rock’n’Roller als verkaufsfördernde Maßnahme drei Wochen vor der WM bereits die deutsche Meisterschaft holten.
15 Mannschaften traten am 31. Oktober 1987 an, die Wanne-Eickeler Formation allerdings mit 2.000 begeisterten Zuschauern im Rücken. Nach fast fünf Stunden flossen dann die Tränen und Wanne-Eickel hob ab: Weltmeister vor heimischem Publikum! Gefeiert wurde außerhalb. Im Herner Kulturzentrum bat Oberbürgermeister Willi Pohlmann zum Sektempfang (damals war der OB noch fürs Feiern zuständig) und die Wanner waren in dieser Nacht sicherlich die glücklichsten Menschen zwischen Ruhr und Emscher. Bis auf Martina Schumacher wahrscheinlich. Der Pechvogel der Formation hatte sich zwei Tage vor der deutschen Meisterschaft den Mittelfuß gebrochen. Ersatzfrau Stefanie Ringler ließ aber während der Wettkämpfe nichts anbrennen.
Es blieb bei diesem einen Triumph der Wanne-Eickeler, der für etliche TV-Termine sorgte und ein Jahr später noch geadelt wurde: mit der „Goldenen Lokomotive“ für besondere Verdienste um das öffentliche Erscheinungsbild der Stadt. Vielleicht hatte Susanne Diel recht, als sie eine Woche vor dem Gewinn der WM orakelte: „Aber gerade der große Erfolg braucht eben Zeit zur Reife, damit er keine Eintagsfliege sein soll.“ 1990 holten die Wanne-Eickeler noch den 3. Platz bei den deutschen Meisterschaften und wurden siebte bei der EM, kurz darauf war die Formation dann Geschichte.
Dennoch sind viele dem Sport und dem Tanzen verbunden geblieben. Wie etwa Nicole Richter, die heute als Sportlehrerin arbeitet. Vielleicht gibt’s ja bald wieder irgendwo einen Leistungskurs Rock’n’Roll...
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